Buchenwald - Eine Annäherung

Bericht über den Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald

Wie fängt man einen Artikel über den Besuch in einem Konzentrationslager am
besten an? Wurde zu diesem Thema nicht schon fast alles geschrieben, was es
zu schreiben, zu sagen und zu mahnen gibt?
Ich werde mir die Freiheit nehmen und die Regeln eines Berichtes brechen,
ich werde deutlich in der Ich-Form schreiben, weil es meine persönlichen
Erfahrungen sind und ich für niemand anderen sprechen kann und möchte.
Eine sachliche Distanz zu dem Thema wird es auch nicht geben, schon alleine deshalb, weil es ab einem Menschen, der wegen seiner Religion oder Meinung getötet wird, keine sachliche Distanz geben darf.
Ob der Rahmen eines Jahrbuches, einer Homepage oder einer Abiturzeitung geeignet ist, über den Besuch in einem ehemaligen Konzentrationslager zu berichten?
Ich glaube ja, denn er gehört zu den prägendsten Erfahrungen, die ich
während meiner Schulzeit machte. Neben Klausuren, Skifreizeit und Praktika gilt dieser Besuch als direkte Konfrontation mit Geschichte und dem Lernen
der Verantwortung daraus.

Meine Erwartungen an den Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald zusammen mit dem Geschichtsleistungskurs von Frau Pfeiffer-Heidecke waren ehrlich gesagt nicht sehr hoch. Aber ich gebe zu, dass ich in einer Form geschockt werden wollte. Das sind wohl die Erwartungen, die man an ein ehemaliges
Konzentrationslager hat.
Insofern war der erste Tag unseres Besuches fast enttäuschend. Wir wurden
auf dem Gelände herumgeführt und besichtigten den Steinbruch, in dem die
Häftlinge unter unglaublich harten Bedingungen arbeiten mussten und die
Bahngleise, wo sie zu Tausenden ankamen. Jedoch war kaum mehr etwas erhalten - eigentlich nur Wiese. Und somit wurde vieles der Vorstellungskraft
überlassen.
Am zweiten Tag kamen wir auf das "richtige" Gelände des Konzentrationslagers, über dessen Eingang "Jedem das Seine“ zu lesen ist.
Doch auch hier waren die Häftlingsbaracken nicht mehr erhalten; dafür aber
der Teil eines Gebäudes, welches Häftlingszellen beinhaltete: Kleine, kalte, dunkle Räume, in denen Menschen bis zu Monaten ausharren und
vor sich hinsiechen mussten, während die SS-Angestellten einen Zoo
unterhielten und es den Tieren besser ging als den Häftlingen.
Nach dem Anblick der Zellen ging es eigentlich Schlag auf Schlag: der
Verbrennungsofen mit den Gedenktafeln, die Erschießungsanlage im
Pferdestall, Namen, selbst gemalte Bilder der Häftlinge, Kleidung und
Brillen - auf einmal war sie da, die Vorstellung. Die Toten haben ein
Gesicht und einen Lebenslauf bekommen - es waren Menschen.
Doch dann – und das bleibt mir vielleicht am eindrücklichsten von diesem Ort in
Erinnerung- kamen die Bilder, die Fotografien, die jegliche
Vorstellungskraft nahmen und die Realität zeigten: in schwarz- weiß. Tote
Menschenkörper aufeinander gestapelt, ausgehungert und nackt. Und Bilder
von SS-Aufsehern- auch sie: Menschen.
Am Anfang schrieb ich, ich wollte geschockt werden. Durch das Lesen und
Anschauen vieler Bücher und Filme wusste ich mich doch recht gut
vorbereitet; großartig etwas Neues zu entdecken glaubte ich nicht.
Dann sind da auf einmal richtige Menschen, keine Schauspieler. Bilder
statt Buchstaben. Was bleibt ist dieser unwirkliche Ort, der existiert hat
und weiterexistiert mit weit über 50.000 Toten, die grundlos sterben
mussten. Und der Schock sitzt tief.
Man muss weiterhin Häftlingshemden mit Judenstern und Nummer sehen können, genauso wie die heimlichen Zeichnungen der Inhaftierten, die voller Angst sind.
Dieser Ort ist real, er tut immer noch weh und muss weiterhin wehtun, für
jeden Besucher, er soll schockieren und: Er muss warnen. Auch nach 60
Jahren, erst recht jetzt und für die Zukunft.

Und jetzt muss ich noch eine "Regel brechen"; das ist mein mindestens
sechster Versuch und zufrieden bin ich mit diesem Text etwas mehr als mit den anderen, aber immer noch nicht ganz. Auch nach fünf Monaten ist mein Kopf noch voller Eindrücke von dem Besuch in Buchenwald bei Weimar, sodass ich eigentlich nichts ordnen kann. Vor allen Dingen sind es Fragen die mich beschäftigen. Die SS-Aufseher, die angeblich nur Befehle ausführten und nichts von dem Morden mitbekamen - sahen sie nicht lebende Menschen kommen und Tote gehen?
Die gewöhnlichen Menschen in Weimar, welche der Demokratie örtlich gesehen
am nächsten waren, wieso waren sie nicht zur Verteidigung dieser bemüht?
Wie können Leute den Holocaust und KZs leugnen angesichts der Beweise der
ehemaligen Realität und dieser Orte? Wo war Gott in dieser Zeit, während Menschen gefoltert und bestialisch ermordet wurden? Ist es wirklich sicher, dass sich das Geschehene niemals wieder wiederholen wird?
Antworten habe ich nicht gefunden, aber Fragen, die zum Denken und Handeln
anregen. Und jetzt kann ich deutlich sagen, auch wenn ich nur für mich
sprechen wollte, andere auch: Ja, es ist wichtig, darüber zu schreiben.

Ingrid Banciu

Buchenwaldexkursion im Juli 2015

„Exkursion von Schülern der Ernst-Ludwig-Schule zur Gedenkstätte Buchenwald“
Im Schulprogramm der Ernst-Ludwig-Schule spielt Geschichtsbewusstsein und Erziehung zur Demokratie eine große Rolle.
Im pädagogischen Konzept der Ernst-Ludwig-Schule (ELS) nimmt Geschichtsbewusstsein und das Engagement gegen Rechtsextremismus schon seit langem einen hohen Stellenwert ein. Aus diesem Grund besuchten alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9 kurz vor Beginn der Sommerferien die Gedenkstätte Buchenwald auf dem Ettersberg bei Weimar. In das 1937 errichtete Konzentrationslager deportierte die SS Männer, Jugendliche und Kinder, die keinen Platz in der nationalsozialistischen Ideologie haben sollten. Etwa 56 000 Menschen kamen in Buchenwald und seinen Außenlagern ums Leben. Die Exkursion nach Buchenwald ist bereits seit mehreren Jahren ein fester Bestandteil im Schulprogramm der ELS. „Es ist eine der vordringlichsten Aufgaben des Geschichtsunterrichts“, so die Fachleiterin für Geschichte an der Ernst-Ludwig-Schule, Britta Witzmann, „die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler für antidemokratische Prozesse zu schärfen“. Der traditionelle Unterricht nähere sich diesem Ziel eher auf dem kognitiv-analytischen Weg. Ebenso wichtig sei aber auch ein emotionaler Zugang. Aus diesem Grund beziehen die Pädagogen auch außerschulische Lernorte in ihren Unterricht mit ein. Ein Unterrichtsgang zur Gedenkstätte Buchenwald biete die Chance, dieser affektiv-moralischen Dimension von Geschichte gerecht zu werden. Die von einer Stiftung getragene Gedenkstätte verfüge über ein hervorragendes Konzept zur Jugendarbeit und ein breites Fundament pädagogischer Praxis. „Dank der finanziellen Unterstützung durch den Wetteraukreis gehört die Fahrt bereits seit mehreren Jahren zum festen Programm an der ELS“, betont Witzmann. Die Entscheidungsträger des Wetteraukreises setzten damit ein deutliches Signal, dass sie der Jugendbildungsarbeit einen hohen Stellenwert beimessen.
Besonders beindruckt hat viele Schüler, dass es in Buchenwald einen Lagerzoo quasi direkt neben Leichenhallen und Verbrennungsöfen gab. Die Tiergehege, von denen nur noch Fragmente wie der Bärenzwinger erhalten sind und die aus erpressten „Spenden“ der Häftlinge finanziert wurden, nutzten die SS-Leute und ihre Familien in ihrer Freizeit. Scheinbar beeinträchtigte der Leichengestank nicht den Erholungswert des SS-Zoos. Viele Schüler zeigten sich erstaunt darüber, dass das Grauen zur Normalität, zum Alltag werden konnte. Irritiert zeigten sich viele Jugendliche auch von dem Kontrast zwischen Tierliebe und Menschenverachtung. Es ist belegt, dass der Lagerkommandant, Karl Koch, Tierquälerei ahndete und Wert auf die artgerechte Unterbringung der Wachhunde legte, während gleichzeitig unter seinem Regiment tausende von Menschen vor allem an der Haftbedingungen, aber auch durch medizinische Versuche, Folterungen und an Massentötungen (Genickschussanlage) starben.
Die Lagerarchitektur und Überreste, wie zum Beispiel das Eingangsstor des Lagers, in das der Spruch „ Jedem das Seine“ eingearbeitet ist, sind von großem Erkenntniswert. Dennoch wird in der Gedenkstätte auch deutlich, dass sich Vergangenheit nicht authentisch rekonstruieren lässt. Die Atmosphäre des Terrors, des Hungers, der Angst kann selbst der empathiefähige Besucher allenfalls erahnen – zum Beispiel die Leiden jener, die in den Arrestzellen des Bunkers von dem sadistisch veranlagten SS-Aufseher Martin Sommer zu Tode gequält wurden. Aufmerksam lasen viele Schüler die in den Arrestzellen angebrachten Tafeln mit den vielfach erschütternden Lebensläufen der hier zu Tode gekommenen Häftlinge. Einer von ihnen war der evangelische Pfarrer Paul Schneider, der 1938/39 zu Tode gefoltert wurde und dessen quälende Prozedur des Sterbens im ganzen Lager bekannt wurde. Die pädagogischen Fachkräfte machten jedoch auch sehr deutlich, dass ein solches Lager nicht allein von Menschen betrieben werden konnte, die mit Freude die Aufgabe der Henker- und Folterknechte wahrnahmen: Da gab es die oft blutjungen Soldaten, die sich von einer Ausbildung bei der SS eine Karriere versprachen, es gab die Korrupten, die sich an den Lagerinsassen vor allem bereichern wollten, und auch jene, die von der nationalsozialistischen Ideologie so überzeugt waren, dass sie aufrichtig glaubten, das Rechte zu tun.
„Es ist so wichtig“, betonen zwei Schülerinnen nach der Exkursion, „Informationen nicht nur dem Geschichtsbuch zu entnehmen“. Erst der Besuch in Buchenwald habe ihnen wirklich bewusst gemacht, dass die Verbrechen des NS-Regimes noch gar nicht lange zurückliegen. Sie zeigten sich tief betroffen von den vielen Blumen, Kränzen und Tafeln, die Angehörige von Opfern zum Gedenken an vielen Orten des ehemaligen Lagers niederlegen.

Maria Schachl