Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein

Bild vom Namensgeber der Schule

»Habe Ehrfurcht vor dem Alten
und Mut, das Neue frisch zu wagen.
Bleib treu der eigenen Natur
und treu den Menschen, die Du liebst.«


   

Geburt am 25.11.1868 in Darmstadt als Sohn des Großherzogs Ludwig IV. von Hessen-Darmstadt

Großherzog von Hessen-Darmstadt am 13.03.1892

1. Heirat am 19.04.1894 in Coburg mit Prinzessin Viktoria von Sachsen-Coburg-Gotha (1867-1936), geschieden 21.12.1901

2. Heirat am 02.02.1905 in Darmstadt mit Prinzessin Eleonore von Solms-Hohensolms-Lich (1871-1937)

Erzwungener Regierungsverzicht am 12.11.1918

Tod am 09.10.1937 in Darmstadt

Ernst-Dieter Nees: "Ein volkstümlicher und beliebter Fürst"

     Als Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein am 13. März 1892 die Nachfolge seines plötzlich verstorbenen Vaters antrat, war er 23 Jahre alt. Die Notwendigkeit, Regierungspflichten zu übernehmen, traf ihn zwar nicht unvorbereitet, dennoch hatte er sicherlich damit gerechnet, sowohl die militärische Ausbildung als auch besonders seine Studien – vor allem der Rechtswissenschaft und Nationalökonomie – noch eine Zeitlang fortsetzen zu können. In seiner ersten Proklamation versicherte er seinen Untertanen, „daß Wir Uns die Handhabung von Recht und Gerechtigkeit, sowie die Förderung der Wohlfahrt und des Besten des Landes stets angelegen sein lassen, daß Wir die Verfassung des Großherzogtums hochhalten und beobachten, sowie auch dem Kaiser und Reich die von Unseren Vorfahren erwiesene Treue bewahren werden“.

     Über ein Vierteljahrhundert bis zum allgemeinen Umbruch nach dem Ersten Weltkrieg hat sich der letzte hessische Großherzog erfolgreich bemüht, in diesem Sinn die Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen und die Entwicklung des Landes voranzutreiben. In zahlreichen Stellungnahmen zum 25jährigen Regierungsjubiläum 1917 kam denn auch die ehrliche Hochachtung vor seiner Person und seiner Leistung deutlich zum Ausdruck. Sie blieb ungeschmälert viele Jahre hindurch nach dem erzwungenen Thronverlust in allen Volksschichten lebendig. Sein Biograf unserer Tage, Manfred Knodt, resümiert: „Großherzog Ernst Ludwig war ein volkstümlicher und beliebter Fürst... Mit seinen Landeskindern konnte er umgehen, er lebte mit ihnen, er verstand ihre Sprache und er sprach sie auch, den Darmstädter Dialekt, das ‘Heinerdeutsch’“.

     Seine verfassungsmäßige Stellung erlaubte ihm kaum selbstständiges politisches Handeln, im Vordergrund hatte offiziell das Repräsentieren zu stehen. Indes erkannte Ernst Ludwig, dass es trotzdem beachtliche indirekte Einflussmöglichkeiten gab, die er zu nutzen vermochte. Er begriff seine Rolle als die eines Anregers, der sich zugleich immer eine gewisse Zurückhaltung auferlegen sollte. Er beobachtete aufmerksam politische Tendenzen und Geschehnisse der Tagespolitik in seinem Land, zeigte sich stets informiert, aber enthielt sich jeder Eingriffe. Der damalige sozialdemokratische Landtagsabgeordnete und spätere hessische Staatspräsident Bernhard Adelung äußerte die Überzeugung, dass Ernst Ludwig „einen ausgeprägten Sinn für politische Betätigung“ nicht gehabt habe. „Den erstrebenswerten Zustand sah er im englischen parlamentarischen System, wie er überhaupt von den Regierungsmethoden Englands sehr eingenommen war“. Diese Anglophilie resultierte zweifellos aus den engen verwandtschaftlichen Bindungen an das englische Königshaus, bekanntlich war Queen Victoria Ernst Ludwigs Großmutter (auch sonst bestanden ja Verwandtschaftsbeziehungen zu fast allen deutschen und europäischen Dynastien). Dem „englischen Stil“ entsprach sein Empfinden für Fairness, das ergänzt wurde durch Toleranz.

     „Für jeden Untertanen muß der Fürst das gleiche Interesse haben, sei auch seine politische Anschauung die verkehrteste. Jeder glaubt doch, er hätte das beste Mittel gefunden, um den Staat zu verbessern“, schrieb er in den Aufzeichnungen für seine Söhne. Als er in Konsequenz dieser Überzeugung das Verhältnis zur Sozialdemokratie zu entkrampfen versuchte, persönliche Kontakte zu Vertretern der Landtagsopposition nicht scheute und beispielsweise 1906 den SPD-Stadtverordneten Leonhard Eißnert in Offenbach als Beigeordneten bestätigte, rief dies in konservativen beziehungsweise national-liberalen Kreisen scharfe Kritik hervor.

     Die Unvoreingenommenheit des hessischen Großherzogs brachte vielfach „spießerliche Perücken ins Wackeln“ (B. Adelung), seine Modernität ermunterte, nach dem Zeugnis von Theodor Heuss, vor allem junge Leute. „Immer muß der Fürst alle Möglichkeiten der Zukunft im Auge haben, damit er als erster immer bereit ist, in einer neuen Frage mitzuhelfen, wenn sie seinem Volk von Nutzen sein könnte“, notierte Ernst-Ludwig 1907. Konkret beschäftigte ihn unter anderem dabei das Nachdenken über neue Bauformen aus Beton, die Anfertigung von Möbeln total aus Stahl oder die Konstruktion von Maschinen, „die ganze Kleider machen, so dass die Armen sich viel billiger und besser kleiden können“. Er ahnte entscheidende Veränderungen in der Landwirtschaft voraus. „Statt eines Landwirtes kommt ein klar denkender Geschäftsmann, der zugleich ein Bodenchemiker, Botaniker und Ökonom ist.“ Auf dem Gebiet der Elektrizität sah er „unendliche Aussichten“. Mit großem Interesse begleitete Ernst Ludwig die Entwicklung der Firma Opel, nicht zuletzt deshalb, weil er dafür plädiert hatte, die Autofabrikation neben der Herstellung von Fahrrädern aufzunehmen (ab 1899). Frühzeitig war er selbst Besitzer eines Opel-Patent-Motorwagens, hat ihn oft persönlich gesteuert und - wie er formulierte - „wilde Propaganda“ für die Rüsselsheimer Automobile gemacht. Seine Aufgeschlossenheit für neue Ideen und die Bereitschaft, bei ihrer Umsetzung „tatkräftig zu helfen“, kam bekanntermaßen vor allem in der Gründung der Darmstädter Künstlerkolonie zum Ausdruck. Durch die Konstituierung dieser Gemeinschaft vielseitiger Talente und die Protektion der berühmten Landesausstellungen gewann das Mäzenatentum Ernst Ludwigs weit über Hessen hinaus an Bedeutung. Hierzu existieren ausführliche Darstellungen, an dieser Stelle sei nur an die umfangreiche Jugendstilausstellung 1976 („Ein Dokument Deutscher Kunst“) auf der Darmstädter Mathildenhöhe erinnert.

     Von der Weitsicht und den künstlerischen Impulsen des Großherzogs profitierte ja auch Bad Nauheim in besonderer Weise. „Schon lange fühlte ich, daß von der Regierung zu wenig für Bad Nauheim geschah. Ich habe lange Kämpfe mit derselben gehabt, denn ich konnte zu Anfang den Herren nicht den Geschäftsgedanken beibringen, daß man viel in Etwas hineinstecken muß, wenn man viel herausholen will. Erst Finanzminister Gnauth verstand mich richtig. Nun aber wollten die Kammern nicht daran. Zuletzt ist Nauheim doch das geworden, was ich mir erträumte. Alle Pläne etc. habe ich selbst durchgearbeitet. Und die Kurgäste sind zufrieden und bewundern die Anlagen“, heißt es in den privaten Memoiren Ernst Ludwigs. Die meisten Nauheimer waren ebenfalls sehr zufrieden mit dem großzügig gestalteten Ensemble neuer Verwaltungsgebäude und Badehäuser im Sprudelhof sowie der repräsentativen Trinkkuranlage. Das rund elf Millionen-Goldmark-Projekt, für das einfallsreiche Baumeister und Künstler arbeiteten, trug dazu bei, das internationale Ansehen des Bades weiter zu vergrößern, es schuf außerdem zusätzliche Arbeitsplätze. Die Einwohner der Stadt nahmen mit Stolz zur Kenntnis, dass ihr Landesherr der 1904 bis 1906 erbauten Dankeskirche die Kanzel stiftete und das Namenspatronat für die junge Höhere Bürgerschule übernahm. Ernst Ludwig hielt sich offensichtlich gern in der Badestadt auf. Dabei bedurfte es durchaus keiner offiziellen oder halboffiziellen Anlässe, wie etwa der Einweihung der Dankeskirche oder von Besuchen bei Kaiserin Elisabeth von Österreich, der deutschen Kaiserin Auguste Viktoria oder anderen hier kurenden Verwandten. Die Bad Nauheimer Zeitung berichtete in einem Artikel zum 25jährigen Regierungsjubiläum, er sei als einfacher Radfahrer (wohl vom Friedberger Schloss aus, d. Verf.) ohne Begleitung zu wiederholten Malen in Bad Nauheim gewesen, „um sich von dem gesteigerten Verkehr zu überzeugen. Sein Rad am Kurhaus abstellend, löste er sich eine Tageskarte, setzte sich auf die Bank gegenüber dem Kurpark und Sprudel und ließ den Strom der Kurgäste an sich vorüberziehen“. Die Baustellen für die neuen Kuranlagen habe er mehrfach unerkannt und unverhofft inspiziert, weil er sich persönlich sehr für den Fortgang der Arbeiten interessierte. Wenngleich wegen der schlimmen Kriegssituation 1917 keine amtlichen Jubiläumsfeiern stattfinden sollten, ließen es sich die Bad Nauheimer Wandervögel doch nicht nehmen, in der Turnhalle der Stadtschule einen „Hessennachmittag“ zu Ehren des Großherzogs zu veranstalten. Der außerordentlich große Zuspruch seitens der Bevölkerung („es war so voll, daß die Zuschauer tatsächlich aufeinanderstanden und -saßen“) kann gewiss auch als Sympathiebekundung gegenüber dem Jubilar gewertet werden.

     Ernst Ludwigs Naturell entsprachen weniger militärisches Zeremoniell, prunkvolle, kulissenhafte Äußerlichkeit und große Gesten. Schilderungen von Zeitgenossen zufolge war sein Auftreten in der Öffentlichkeit von natürlicher Würde und freundlicher Distanz geprägt. Als Redner bei offiziellen Verpflichtungen scheint er eher scheu und unpathetisch zurückhaltend gewesen zu sein, während sich im Privatgespräch oft seine übersprudelnde Lebhaftigkeit äußerte. Er verabscheute unterwürfige Schmeichelei. Wer ihn näher kennenlernte, bewunderte die Vielseitigkeit seiner eigenen künstlerischen Betätigungen: Er zeichnete, schrieb Gedichte in deutscher und englischer Sprache, wagte Kompositionsversuche, entwarf Theaterkulissen und Kostüme und beeinflußte maßgebend Inszenierungen der Darmstädter Opernbühne. Von persönlichen Belastungen und Schicksalsschlägen blieb er nicht verschont. Ein jüngerer Bruder verunglückte tödlich im Kindesalter; Mutter Alice und Schwester Marie verlor er früh durch Diphtherie; die erste Ehe mit Victoria Melita scheiterte, Elisabeth, das gemeinsame Kind, starb mit acht Jahren; zwei Schwestern Ernst Ludwigs wurden mit ihren Angehörigen in Rußland 1918 ermordet. Dennoch suchte er seine grundsätzlich optimistische Lebenseinstellung zu bewahren. „Wenn die Schatten der Sorge und des Unglücks sich über dich breiten, so lasse dich nicht von ihnen erdrücken. Es gibt keine Schatten ohne Sonne, also richte deine Augen nach der Sonne, dann findest du sie.“

Ernst Ludwig starb am 9. Oktober 1937 in Wolfsgarten.