Rohes Fleisch und Schlummerrollen

Fast schien es, als setzten sich unsere Vorstellungen von Frankreich hauptsächlich aus den vielen Eindrücken aus den Französischbüchern der vergangen Jahre zusammen: Jugendliche, die nichts Besseres zu tun haben, als diese ewig jungen Chansons zu hören, seltsam bereitete Betten mit runden, unbequemen Schlummerrollen, Fleisch, das fast roh gegessen wird oder gar Kaffeetassen, die die Größe von Müslischüsseln übertreffen ...! Die diesjährigen Chaumont-Austauschschüler waren gespannt, der Wahrheit auf die Spur zu kommen und vielleicht auch manchmal ein bisschen ängstlich, was sie wohl erwartete. Alles nur billige Vorurteile oder vielleicht doch einfache Tatsachen? Beginne ich mal mit den Erlebnissen der ersten Nacht! Müde wollte ich mich auf das riesige, flauschige Bett schmeißen und mich warm einkuscheln, da kamen die Probleme auch schon auf mich zu. Was sollte hier die Bettdecke sein? Gab es diese überhaupt? Wo war der Anfang, wo das Ende dieses fest verpackten Etwas? Nach einer langen Suche gab ich dann doch erschöpft auf und deckte mich mit dem Zipfel der zur Verzierung dienenden Überdecke zu. Und siehe da: Zum Vorschein traten die erwarteten Schlummerrollen, die sich beim Ausprobieren als zu ungemütlich herausstellten und die ich morgens schnell wieder an ihren angestammten Platz zurücklegte, nachdem ich sie nachts aus dem Bett geworfen hatte. Nach dieser turbulenten Nacht freute ich mich schon auf einen schönen Kaffee und kam gutgelaunt in die Küche, wo mir ein schüsselähnliches Etwas vor die Nase gestellt wurde und die Kaffeekanne daneben. Sollte ich wirklich meinen Kaffee aus dieser Schüssel trinken oder war die für die Cornflakes da. Etwas verschämt tat ich es dann doch, stellte zu meiner Erleichterung fest, dass es genau so richtig war, fragte mich aber immer noch, wie die Franzosen jeden Morgen diese riesige Menge Kaffee bewältigen... 10 Tage lang wurde ich köstlich bekocht - von der Menge ganz zu schweigen. Als mir das erste Mal Fleisch serviert wurde, war ich doch beruhigt, dass es nicht blutig und nur halb gegart, sondern schön durchgebraten war. Mir wurde aber auch erzählt, dass man Fleisch sonst tatsächlich gerne "rot" isst und dass man es speziell für mich den deutschen Standards angepasst hatte. Noch mal Glück gehabt! Was die Musik betraf, die mein Austauschschüler während der 10 Tage hörte, handelte es sich dabei um die gleiche Musik, die wir auch hier hören. Die Chansons gab es allerdings auch, nur eben ein bisschen modernisiert, was sie - ehrlich gesagt - nicht erträglicher machte... Man kann also durchaus sagen, dass sich viele unserer Vor-Urteile als einfache Tatsachen herausstellten. Es war jedoch nicht im Geringsten erschreckend, sondern eher abenteuerlich, auf diese Weise die französische Welt verstehen zu lernen. Nach 10 Tagen habe ich das schwierige Bettsystem begriffen, mich an die übergroßen Kaffeetassen gewöhnt und was das Essen angeht: Davon kann man sich sogar eine Scheibe (aber bitte Baguette!) abschneiden!

Stephanie Reckhaus