03.04.2022 11:47 Alter: 2 yrs
Kategorie: Deutsch, fb1

Ich flöhe gern von dannen …

OVAG-Literaturpreisträger*innen der Ernst-Ludwig-Schule stellen ihre Erzählungen vor.



18. OVAG Jugendliteraturpreis: In einer Lesung präsentierten am 14. März Masa Alnomani, Fabian Minor und Marie Middendorf ihren Mitschüler*innen sowie Mitgliedern der Lehrerschaft und der Schulleitung ihre prämierten Er-zählungen. Der OVAG-Literaturpreis wendet sich an Jugendliche und junge Erwachsene und bietet den Gewinnern die Chance, in einem mehrtätigen Literatur-Workshop mit Hilfe von renommiertem Autor*innen ihr literarisches Können zu verbessern. „In den vergangenen Jahren gehörten immer wieder Schüler*innen der ELS zu den Preisträgern - die Erfolgsbilanz des Corona-Jahres 2021 ist sogar ganz besonders erfreulich: Gleich vier der prämierten Texte wurden von ELS-Schüler*innen verfasst“, hob die Schulleiterin der Ernst Ludwig Schule, Uta Stitterich, hervor. Im Zentrum jeder der drei zum Vortrag gekommenen Geschichten steht eine Flucht – die Flucht vor einem Killer (Marie Middendorf), die Flucht vor Krieg (Masa Alnomani) und die Flucht vor … ja, vor was eigentlich genau? (Fabian Minor).

Schulleiterin Uta Stitterich begrüßte die Teilnehmer.

Thomas Hergesell organisiert die Veranstaltungen im Rahmen des OVAG-Lesewettbewerbs.

Ich flöhe gern von dannen, doch selbst zur Flucht kann ich mich nicht ermannen, dichtete einst der spanische Dichter Calderón in seinem Versdrama Das Leben ein Traum. Da zögert und zagt ein mutloses Ich, das – so steht zu befürchten – so lange an seinem vertrauten Ort ver-harrt, bis es von einem grausamen Schicksal zerschmettert wird oder vor Langweile zu Staub zerfällt. Den Vorwurf der Mutlosigkeit kann man den Hauptfiguren in den Geschichten der OVAG-Preisträger allerdings nicht machen. Sie versuchen, sich zu retten oder, um die Worte von Calderón aufzugreifen, sie ermannen sich zur Flucht.

Flucht vor einem Attentäter



Es tobt ein Attentäter im Ferienlager einer Jugendorganisation. Die jugendliche Ich-Erzählerin und ihre Freunde versuchen zu fliehen, aber ihre Fluchtmöglichkeiten sind begrenzt, denn sie befinden sich auf einer Insel, 500 Meter vom Festland entfernt. Zumindest den etwas älteren Zuhörern wird schnell klar, auf welcher Begebenheit Marie Middendorfs Geschichte beruht: Das Attentat Anders Breiviks am 22. Juli 2011 auf der norwegischen Insel Utꬾya. Der rechts-extreme Täter tötete insgesamt 77 Menschen, zumeist Jugendliche. In einem kurzen Autoren-gespräch im Anschluss an die Lesung machte Marie Middendorf deutlich, dass sie von diesem Attentat nach einer Norwegenreise erfahren habe. Das Ereignis beschäftigte sie sehr und ha-be sie zu einer intensiven Recherche veranlasst. „Diese Erzählung“, so die Autorin, „ist das Ergebnis dieser intensiven Auseinandersetzung.
 
Flucht vor einem Krieg.



Es tobt ein Krieg in einem fernen Land. Die Ich-Erzählerin und ihre Mutter versuchen dem Tod zu entkommen, der sie angrinst und sich hartnäckig an ihre Fersen heftet. Das versprochene große Schiff erweist sich als ein winziges Schlauchboot. Der ersehnte sichere Hafen ist in Wahrheit ein Lager, in der Flüchtlinge in die Hoffnungslosigkeit aussortiert werden und der Fluchthelfer hat eine Pistole in der Hand. Aber: „Wegrennen ist keine Option“, so formuliert es die Autorin Masa Alnomani. Der autobiographisch eingefärbte Text beschreibt aus der Per-spektive eines Kindes traumatische Ereignisse einer gefahrvollen Flucht und lässt ahnen, was es bedeutet, wenn verstörende Erlebnisse im Kopf in Endlosschleife weitergehen außer, wenn man sie vielleicht mit Worten bannen und in eine Erzählung einsperren kann.

Flucht vor … ja, wovor eigentlich?



Es tobt ein Flammeninferno in einer Fabrikhalle, die jugendlichen Ausreißern als Zufluchtsort dient. Einer von ihnen ist Robin, die Hauptfigur in Fabion Minors Erzählung „Irrfahrten eines Jungen“. Robin hat eines Nachts, ohne besonderen Grund, sein Elternhaus verlassen. Es treibt ihn in die Ferne. Da-bei ist ihm selbst nicht bewusst, wovor er davonrennt. Seine Flucht ist jedoch, im Gegensatz zu den Geschichten von Alnomani und Middendorf, selbstbestimmt und dies ist wohl auch der Grund dafür, dass er sich erstaunlich angstfrei in der Fremde bewegt. Er streunt völlig mittellos durch Industrie-viertel, schließt Freundschaft mit jugendlichen Ausreißern, stiehlt Lebensmittel, rennt der Polizei davon und steht schließlich vor einer Feuerwand. Der Titel der Erzählung Irrfahrten eines Jungen erinnert an die dem Dichter Homer zugeschriebene Mutter aller Irrfahrten: die zehnjährige Reise des Odysseus auf dem Mittelmeer. Ähnlich wie der antike Held muss sich auch der Junge in Fabian Mi-nors Erzählung bewähren – nur, dass er sich nicht wie einst Odysseus mit dem Mittel-, sondern ei-nem Flammenmeer auseinanderzusetzten hat. Homer wie Minor schicken ihren Helden auf eine Reise, die gefahrvoll aber auch bereichernd ist. Flucht ist hier nicht nur ein aktives Ausweichen vor der tödlichen Bedrohung, sondern die Chance auf Erkenntnis. Dies mag auch der Grund sein, wes-halb der Junge so beneidenswert lässig dem Unbekannten, Ungewissen und Bedrohlichen begegnet und die Klippen des Scheiterns umschifft wie einst Odysseus Skylla und Charybdis.  

Der Zaudernde in Calderóns Versen, der saft- und kraftlos auf der Stelle tritt und im Konjunktiv fühlt und denkt (Ich flöhe gern von dannen), sollte sich an den jugendlichen Protagonisten der Au-tor*innen ein Beispiel nehmen. Sie starren nicht wie gebannt auf das zähnefletschende Böse, das in den dunklen Ecken der Menschheit haust, sondern ergreifen beherzt die Flucht. Ob sie den Verfol-ger abschütteln können und ein sicheres Refugium finden, ist nachzulesen in dem Band „Jugendlite-raturpreis 2021. Gesammelte Werke“ von dem auch ein Exemplar in der Schulbibliothek zu finden ist. Hier kann der Interessierte auch den prämierten Text der vierten Preisträgerin der ELS, Isabelle Weinert, nachlesen, die ihre Erzählung am 14. März nicht zu Gehör bringen konnte. Es besteht die Möglichkeit ein Exemplar für 10,- Euro von der OVAG zu erwerben.
M. C. Schachl

Die Geschichten sämtlicher Preisträger des OVAG Wettbewerbs 2018 sind in einem Sammel-band herausgegeben, den sich Interessierte in der ELS-Bibliothek ausleihen können.

Wie immer und überall ist es auch an der ELS so, dass ohne die zahlreichen Helferinnen und Helfer im Hintergrund Veranstaltungen nicht durchgeführt und dokumentiert werden können.
Bei der diesjährigen Station der OVAG-Lesetournee  

  • waren zwei Klassen der Jahrgangsstufe 10 unterstützt von Gerald Mattlener beim Auf- und Abbau der kleinen Bühne sowie der Stühle im Einsatz.
  • sorgte das kleine Technikteam mit Jonas und Bennet aus der 10c für die Funktionalität der Mikrofone und stellte sicher, dass in der gesamten Mehrzweckhalle ein gutes Verstehen der Vorlesenden gesichert war.
  • hatte der stellvertretende Schulleiter Andreas Hilsbos zuvor die Raumorganisation geklärt und stand mit Rat und Tat zur Seite.
  • schrieb Maria Schachl den wunderbaren Bericht über die Veranstaltung.
  • hielt Frank Weber die Lesung in seinen klaren Fotografien fest.
  • leistete Thomas Hergesell die gesamte Arbeit im Vorfeld der Lesung und begrüßte alle Anwesenden mit treffenden Worten. Seit vielen Jahren ist er verantwortlich für die Organisation der Veranstaltungen im Rahmen des OVAG-Jugendliteraturwettbewerbs an der ELS.
  • unterstützte Christian Liebchen als Verantwortlicher für die Leseförderung an allen Ecken und Enden.


DANKE euch allen für den persönlichen Einsatz, der eine eindrucksvolle Lesung ermöglicht hat.
Eva Pfeiffer-Heidecke, Fachbereichsleiterin Aufgabenfeld I