16.12.2021 20:50 Alter: 2 yrs

Gewogen-gemessen-fotografiert … und dann getötet.

Schüler der Ernst-Ludwig-Schule besuchten Gedenkstätte in Hadamar


An drei Tagen innerhalb von zwei Wochen besuchten jeweils zwei Geschichtskurse der 11. Klasse der Ernst-Ludwig-Schule die Gedenkstätte Hadamar. Hier wurden in den letzten vier Jahren der NS-Herrschaft fast 15.000 Menschen ermordet, viele von ihnen waren psychisch krank. Auf dem Gelände der damaligen Tötungsanstalt wird seit Jahrzehnten dieser Verbrechen gedacht.
„Es ist ein sehr beklemmendes Gefühl, wenn man sich bewusst macht, dass an der Stelle wo man gerade steht, so viele Menschenleben vernichtet worden sind“, stellt die Schülerin Victoria bereits an der ersten Station des geführten Rundgangs fest, bei dem die Jugendlichen die verschiedenen Stationen der Gedenkstätte kennenlernen. Sie erfahren, dass die Patienten in abgedunkelten Bussen in eine Scheune transportiert wurden, damit sie die Orientierung verlieren und Fluchtversuche vermieden werden konnten. „Einerseits kann man sich als Besucher direkt in die Situation hineinversetzen, andererseits nicht einmal ansatzweise verspüren, wie sich die einstigen Patienten gefühlt haben müssen,“ meint ein 17-Jähriger. Nach der Patienten-Ankunft folgte eine gewöhnliche ärztliche Visite, in der die Betroffenen noch einmal gewogen, gemessen und fotografiert wurden, bevor sie getötet wurden. Anschließend wurden Trauerbriefe an die Angehörigen versendet.
Den Besuch der authentischen Kellerräume mit der ehemaligen Gaskammer empfanden die Schülerinnen und Schüler als beklemmend, aber notwendig zur Vergegenwärtigung der dunklen Geschichte der NS-Psychiatrie. In einer als Duschraum getarnten Kammer wurden von Januar bis August 1941 über 10.000 Kinder, Frauen und Männer mit Kohlenmonoxid-Gas ermordet, die Leichen wurden anschließend in zwei eigens eingebauten Krematoriumsöfen eingeäschert. Die Hinterbliebenen erhielten Beileidsschreiben mit erfundenen Todesursachen, denn niemand sollte Verdacht schöpfen. Später erfolgte in Hadamar die Ermordung der Patienten durch überdosierte Medikamente oder Hungerkost. Der Mord wurde in der NS-Vorstellung als Erlösung der Kranken dargestellt. Es waren nicht nur Anstaltspatienten betroffen. So wurden in der zweiten Mordphase z.B. auch „halbjüdische“ Kinder, tuberkulosekranke Zwangsarbeiter sowie psychisch kranke Wehr-machts- und SS-Soldaten ermordet. Ihre Leichen wurden ab 1943 auf einem neu angelegten Anstaltsfriedhof bestattet. Wobei dem Oberstufenschüler Sam auffiel, dass es sich bei den auf den Fotos zu sehenden Gräbern überwiegend um Massengräber handelte.
Am Ende der sehr gut aufgebauten und strukturierten Führung wurde den Jugendlichen ein Gedicht mit auf den Weg gegeben: „Was hast du damals getan, was hättest du nicht tun sollen? Nichts. (…) Nur eines weiß ich: Morgen wird keiner von uns leben bleiben, wenn wir heute wieder nichts tun.“ Gespräch mit einem Überlebenden (Erich Fried) von Franz Bauer am 13.05.2016.
„Werden Menschenrechte verletzt“, so eine Schülerin, „geschieht dies immer unter dem Deckmantel ir-gendwelcher Rechtfertigungen und Täuschungsmanöver. Das ist mir hier an diesem Ort bewusst gewor-den.“
Dieses Projekt wurde gefördert vom Wetteraukreis aus dem Förderprogramm „Demokratie Leben!“ des Bundesfamilienministeriums, kofinanziert vom Land Hessen.