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Luther und die ELS
Der fächerübergreifende Projekttag, vorbereitet durch die Jahrgänge 12 und 13 sowie der Fachschaften Geschichte, Religion und Musik, zum 500. Reformationstag war ein beeindruckender Erfolg. Pfarrerin Vogt unterstützte die Veranstaltung der Oberstufe in der Mehrzweckhalle durch einen hochkarätigen, kritischen Vortrag.
Fachbereichsleiterin Annette Hebbeker-Meyer, die die Anwesenden begrüßte und die Veranstaltung moderierte, wies besonders darauf hin, dass das Thema Luther und die Reformation für die Oberstufe inhaltlich nicht abiturrelevant sei und dass die Auseinandersetzung mit Luther und seine Bedeutung bei der ohnehin knapp bemessenen Unterrichtszeit als ein besonderer Kraftakt der Schüler und Kollegen gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden könne.
Eine stimmungsvolle Einleitung gelang den Schülern des Musikkurses von Herrn Ziegler, die sehr selbständig durch eigenes Dirigieren und musikalisches Begleiten drei Lieder mehrstimmig sangen. Mindestens zwei Lieder hätten die Zuhörer mitsingen können: »Vom Himmel hoch, da komm ich her« – ein bekanntes Weihnachtslied aus der Reformationszeit aber auch »Wind of Change«, das Lied der Wende von 1989.
Der Geschichtskurs von Frau Hebbeker-Meyer leitete dann zur thematischen Auseinandersetzung über, indem vier Schülerinnen kritisch nach dem Sinn der Veranstaltung und der Relevanz Luthers für die heutige Jugend fragten. Sie betonten, dass der Widerstand Luthers gegen den Ablasshandel und damit gegen die mächtige Institution Kirche tatsächlich den Wandel zur modernen Zeit eingeläutet habe. Unsere zumindest für uns selbstverständlichen Menschenrechte seien maßgeblich auf ihn zurückzuführen. Auf der anderen Seite kritisierten sie den Hype, der um die Figur Luthers gemacht wird in Form von Lutherabziehbildern, Luther-Musicals, Lutherwanderungen, Luther-Playmobilfiguren, Luthergummibärchen und unzähligen Veranstaltungen zur Reformation, hofften aber, an diesem Projekttag mehr über ihn und seine Lehre zu erfahren und freuten sich schon auf den kommenden freien Tag.
Pfarrerin Vogt erläuterte dann in einem sehr kritischen Beitrag, warum sie einerseits voller Bewunderung für Luther sei, andererseits zeigte sie auch deutlich dessen Schwächen auf.
Eindrucksvoll habe Luther der mittelalterlichen Kirche, die sie als einen machtbesessenen, finanzstarken, multinationalen Konzern darstellte, die Stirn geboten, wohlwissend, dass er diese Haltung mit Tode bezahlen könnte. Sie erklärte, warum Luther, warum auch andere überhaupt Mönch werden wollten in der damaligen Zeit. Der mittelalterliche Mensch sei so von realen und von der Kirche erfundenen Ängsten geplagt gewesen, dass das Mönchtum ihn schützte und ihm bei entsprechender Frömmigkeit einen Platz im Paradies sicherte. Die hohe Kindersterblichkeit, die Pest, die politische Unsicherheit durch das Erstarken der Osmanen und die Verunsicherung durch die Lehren des Kopernikus, die Erde sei nicht der Mittelpunkt der göttlichen Schöpfung, habe viele Männer und Frauen in die Klöster getrieben. Nach intensiven Studien des alten und neuen Testamentes sei Luther zu dem Schluss gekommen, dass es keiner kirchlichen Institution bedürfe, um ein Verhältnis zwischen dem Gläubigen und Gott herzustellen und daher weder Ablassbriefe noch gute Werke oder Reliquien zur Vergebung der Sünden nutzen würden. Dieser ungeheuerliche Affront gegen die römisch-katholische Kirche führte bekanntermaßen zu ihrer Spaltung und zur Reformation. Frau Vogt, die selbst viele Jahre als Lehrerin tätig war, verwies auf den Zusammenhang zwischen Luthers Lehren und dem Bauernkrieg, dem größten Aufstand, den es in Deutschland gegeben habe und dem in Europa bis zur Französischen Revolution nichts gleichkomme. Der Geschichtskurs von Frau Ittner vertiefte dieses Thema später noch mit medialer Unterstützung. Als es zu immer größeren blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Bauern und den Landesherren kam und Plünderungen an der Tagesordnung waren, so referierte Frau Vogt, habe sich Luther deutlich von diesem „Pöbel“ distanziert, der nichts anderes als christliche Werte forderte, die die Landes- und Lehnsherren gegenüber ihren Bauern einhalten sollten.
Frau Vogt kritisierte, dass Luther sich immer mehr um die Gunst seines Landesherrn bemühte, indem er die Neuerungen in Wittenberg rückgängig machte und damit den Forderungen des Kaisers nachgab. Die Messe wurde wieder in Lateinisch gelesen, das neu eingeführte Abendmahl mit Brot und Wein verschwand wieder. Auch Luthers verhängnisvoller Antisemitismus sowie sein Festhalten an der von der Kirche erfundenen Erbsünde lehnt sie strikt ab und kommt zu dem Schluss, dass noch vieles aufgearbeitet werden müsse. Eines jedoch sei klar: Religion müsse ermutigen, stärken, befreien, sonst bräuchte man sie nicht.
Nach anhaltendem Applaus für ihren Beitrag folgte gleich ein nächster Höhepunkt. Sieben Akteure, die eine Zeitreise von 500 Jahren hinter sich hatten, traten in Tobis Talkshow auf und wurden vom Talkshowmaster Tobias Pirl interviewt. Dabei vertraten sie ganz unterschiedliche Positionen. Ein einfacher Bauer beklagte sein entbehrungsreiches Leben, Kurfürst Friedrich III (der Weise) erläuterte seine Haltung zu Luther und zur Reliquienverehrung, Kardinal Cajetan verteidigte energisch den Ablasshandel, Philipp Melanchthon beschrieb sein enges, freundschaftliches Verhältnis zu Luther, Katharina von Bora erklärte, wie sie, durch die Lehren Luthers angespornt, das Kloster verließ und Luther später heiratete, und Luthers Freund Lucas Cranach führte aus, dass er die Lehren Luthers drucken ließ und erfolgreich verkaufte. Darüber hinaus gilt Lucas Cranach als der berühmteste Maler der Reformation. Alle Akteure betonten die Veränderungen, die Luthers Lehre für ihr Leben hatten. So erhielten die zuhörenden Schüler ein gutes Bild von den verschiedenen Perspektiven der Menschen der damaligen Zeit.
Der bilinguale Geschichtskurs von Frau Pauschardt erklärte Luthers Einfluss auf Friedberg und die Wetterau in englischer Sprache. Ihre Präsentation wurde sehr ideenreich unterstützt durch schnelle Zeichnungen im Zeitraffer, die Luther und sein Wirken in Friedberg darstellten.
Nach der Pause ging es zunächst weiter mit den Schülern des Musikkurses von Frau Hildebrandt, die in einer Art Sprechgesang das bekannte Lutherlied »Ein feste Burg ist unser Gott« sprachen und dabei von ihrer Lehrerin am Keyboard und von Percussionkünstlern begleitet wurden.
Es folgten zwei Beiträge des Geschichts- und Religionskurses von Herrn Neuenkirch, die eine Mitschuld der Kirche am Holocaust beleuchteten sowie Unterschiede zwischen der katholischen, evangelischen und russisch-orthodoxen Kirche herausstrichen. Der Patriarch Kyrillos Yacoub zeigte uns, wie man in der aramäischen Kirche die verschiedenen Würdenträger anhand des Anlegens eines Schals erkennen kann.
Der anschließende Beitrag des Geschichtskurses von Frau Lengler wurde bereits durch kontroverse Rufe aus dem Publikum eingeleitet. Ihr Kurs stellte die Bewegung der bekennenden Kirche im 3. Reich dar, die sich auf einer Kundgebung mit Hilfe großer Plakate gegen die Arisierung der deutschen Kirche stellte. Ein genialer Einfall, der in seiner Durchführung deutlich machte, wie sehr Luther von der deutschen Kirche im dritten Reich vereinnahmt wurde und wie gläubige Christen, unter ihnen Martin Niemöller, sich gegen den Arierparagraphen und die fortschreitende Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung zur Wehr setzten.
Der Englisch-Leistungskurs von Herrn Landmann erläuterte die Bedeutung Luthers für die Angelsachsen in fließendem Englisch. Die Schüler gingen mit einem positiven Ergebnis auch auf die Frage ein, ob Luther heute noch ein „role model“ für die Jugend sein könnte. Die bereits erwähnten Schüler von Frau Ittner lasen die berechtigten Forderungen der Bauern vor, die schließlich zum Ausbruch des Bauernkrieges führten.
Der Geschichtskurs von Frau Witzmann stellte die Bedeutung des Augsburger Religionsfriedens im Jahre 1555 heraus, mit dem das Reformationszeitalter einen vorläufigen Abschluss fand. Durch den Grundsatz „Cuius regio, eius religio“ bestimmte der jeweilige Landesfürst die Religion seiner Untertanen, so dass beide Religionen, das Luthertum und der Katholizismus nebeneinander Bestand hatten und so ein zumindest bis 1618 dauerhafter Frieden erreicht wurde. Herr Bozic, der noch einmal ein musikalisches Repertoire aus der Reformationszeit darbot, beendete den Projekttag. Ein Feedback über den Tag wird in den einzelnen Kursen gegeben.
Insgesamt gestaltete sich der fächerübergreifende Projekttag als ein beeindruckendes, arbeits- und vorbereitungsintensives, vielfältiges und abwechslungsreiches Lernen. Allen beteiligten Schülerinnen und Schülern sowie Kolleginnen und Kollegen ein ganz großes Dankeschön!
Annette Hebbeker-Meyer