03.10.2017 15:37 Alter: 5 yrs
Kategorie: geschichte, fb2

ELS-Schüler mit Zeitzeugen im Gespräch


Erneut besuchte die gesamte Jahrgangsstufe 12 der Ernst-Ludwig-Schule vom Max-Kolbe-Institut initiierte Zeitzeugengespräche in Ilbenstadt und war tief bewegt.
Alle Zeitzeugen haben eine unfassbare und ergreifende Geschichte hinter sich und haben sich vor einigen Jahren bereit erklärt, mit jungen Menschen zu sprechen, damit die Diskriminierung, Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung von Menschen während des Nazi-Regimes nicht in Vergessenheit geraten und sich ähnliche Gräueltaten nicht wiederholen können. Gleichzeitig wollen sie aufmerksam machen auf heutige Völkermorde, die zwar nicht in Europa, jedoch in anderen Ländern der Welt passieren und zu aktivem Handeln gegen jede Form von Unmenschlichkeit aufrufen.
Marek Edelmann, Überlebender des Aufstandes 1943 im Warschauer Ghetto, sagte einmal: „Es ist zweifellos wichtig, die Vergangenheit zu erinnern, denn sie ist unser Lehrer.“ Viel eindrucksvoller als ein normaler Geschichtsunterricht ist daher das Gespräch mit tatsächlich Betroffenen. Die Ausgrenzung, der Völkermord, die entsetzliche Verzweiflung bekommen ein Gesicht, einen Namen.
Die Geschichten der Zeitzeugen sind alle sehr unterschiedlich. Sie haben nur eines gemein. Sie wurden schon als Kinder ausgegrenzt, verfolgt und gingen einem sicheren, frühen Tod entgegen. Nur durch zufällige, glückliche Umstände haben sie überlebt und können daher der jungen Generation ihre Erfahrungen vermitteln. Stellvertretend für die fünf Zeitzeugen sei hier Henriette Kretz genannt, die später im Gespräch bedauerte, dass es ihr trotz vieler Versuche noch nie gelungen sei, mit Neonazis über ihre Erlebnisse zu sprechen.
Henriette Kretz, genannt Musia, schilderte ihre Erlebnisse aus der Sicht eines fünfjährigen Kindes, das zunächst weder die Ausgrenzung der Juden noch das Wort Krieg verstand. Obwohl ihr Vater sofort nach dem Überfall der Deutschen auf Polen weiter ostwärts nach Lemberg und dann nach Sambor zog, blieb Henriette zunächst verschont und beschrieb ihre Kindheit als eine glückliche, freie und unbeschwerte Zeit, in der sie die Prinzessin der kleinen Familie war. Obwohl durch Eltern und andere gewarnt, begegnete sie den deutschen Soldaten ohne jeden Argwohn und betrachtete sie zunächst als überhaupt nicht einschüchternd, sondern eher als fesche und freundliche Menschen. Dies änderte sich, als sie mit ihren Eltern in ein überfülltes Ghetto übersiedeln musste. Ihrem Vater, einem angesehenen Mediziner, gelang es zweimal, Henriette vor dem sicheren Tod zu bewahren. Es gelang ihm, sie aus dem Gefängnis freizukaufen, in dem sie als einziges Kind mit vielen dem Tode geweihten Frauen eingesperrt war. Ein zweites Mal konnte die Familie der sicheren Erschießung entkommen, als ihr Vater mutige Menschen fand, die bereit waren, die Familie in einem dunklen Kohlenkeller ohne Tageslicht monatelang zu verstecken. Diese wirklichen Helden bezahlten ihre Mitmenschlichkeit mit dem Leben, denn die Deutschen spürten die Familie auf und erschossen auf dem Weg zu einem Sammelplatz die Eltern. Henriette konnte weglaufen und überlebte diese schlimmste Zeit ihres Lebens in einem Waisenhaus. Frau Kretz gelang es meisterhaft, ihr persönliches Schicksal mit den geschichtlichen Ereignissen zu verknüpfen. Fast zweieinhalb Stunden erzählte sie unermüdlich in gutem Deutsch und die SchülerInnen hingen an ihren Lippen.
Die SchülerInnen bedankten sich sehr herzlich bei Henrietta Kretz und nahmen sie zum Abschied in ihre Arme. „Wie soll ich meinen Kindern und Enkelkindern je so eindrücklich von dieser Zeit erzählen ohne die Zeitzeugen. Wir sind alle tief erschüttert von ihren Erlebnissen“, sagte eine Schülerin.
 Keine Geschichtsstunde kann so ergreifend und authentisch sein. Es ist unschätzbar wertvoll, dass uns diese hochbetagten Menschen an ihrem Leben und ihren Erfahrungen teilhaben lassen.

Annette Hebbeker-Meyer
Fachbereichsleiterin für das gesellschaftswissenschaftliche Aufgabenfeld

Foto: Frau Kretz bekommt einen vom Chemie-LK selbstgebrannten Schnaps als kleines Geschenk durch die Schülerin Lea Korb im Namen des 12. Jahrgangs.